Vom Mythos des Elysèe-Vertrages und der gelebten Wirklichkeit der deutsch-französischen Freundschaft

Französisch - Reportage vom 30.01.2014

In die Alte Synagoge in Essen verlagerte der Französisch-Grundkurs der Q2 am 23. Januar, nach dem deutsch-französischen Tag, seinen Unterricht. Dort nämlich hatten die Schülerinnen und Schüler die seltene Chance, einen der besten Kenner der deutsch-französischen Beziehungen zu hören und mit ihm in den Dialog zu treten. Die Rede ist von Alfred Grosser, dem intellektuellen Wegbereiter des Elysée-Vertrages und des deutsch-französischen Jugendwerks. Grosser sprach über ein wichtiges außenpolitisches und geschichtliches Thema, das übrigens auch im Rahmen des Zentralabiturs behandelt wird: Mythes et réalités des relations franco-allemandes.

Alfred Grosser liegt der Dialog mit der jungen Generation sehr am Herzen und so wurden die Lehrer gleich am Eingang gebeten, die hinteren Ränge einzunehmen, um die Jugend vorne Platz nehmen zu lassen. Die Synagoge war bis auf den letzten Platz mit Schülern und Studenten gefüllt, die seinem Vortrag aufmerksam lauschten.
Die deutsch-französische Freundschaft habe gleich nach dem Krieg mit vielen kleinen Initiativen begonnen. Er selbst hat in der Résistance gegen Deutschland gekämpft und Familienmitglieder in Konzentrationslagern verloren und sich dennoch für die Freundschaft zwischen Deutschen und Franzosen eingesetzt.
Lange vor dem Elysée-Vertrag hätten er und seine Mitstreiter Begegnungen zwischen jungen Deutschen und Franzosen organisiert. Grosser erzählte zum Beispiel von einer Begegnungsstätte im Schwarzwald, in der ehemalige Führer der Hitlerjugend mit jungen Franzosen zusammentrafen. Auch er sei zwei Jahre nach Kriegsende dort gewesen. „Ich hatte schon ein mulmiges Gefühl bei dem Gedanken, dass genau dieselben Leute mich zwei Jahre zuvor auf Befehl in einen Gasofen gesteckt hätten“, sagte Alfred Grosser. Aber er habe immer geglaubt, dass man Begegnungen zwischen jungen Deutschen und Franzosen schaffen müsse, um Versöhnung zu stiften. Der Elysée-Vertrag selber hätte nur verstärkt, was es ohnehin schon gab, zum Beispiel die Schaffung eines deutsch-französischen Jugendwerks. Dass er aber so bedeutend sei, sei ein Mythos. „Und ich mag keine Mythen, ich mag die Realität“, so Grosser. „Da gab es viele Freundschaften zwischen den Menschen, selbst wenn es zwischen den Staatslenkern mal nicht so gut lief“, erläuterte er.
Die Schüler stellten Alfred Grosser viele Fragen und waren begeistert von seiner unprätentiösen Art. Immer wieder streute er Bonmots in seinen Vortrag. Gegen Ende kritisierte er die gegenwärtige europäische Politik: „Angela Merkel und Francois Hollande fordern beide mehr Europa, geben aber weniger Geld!“ Es brauche mehr Europa, mehr Vorschläge für die weitere europäische Einigung und zum Beispiel eine gemeinsame europäische Verteidigung.
Auch den Schülern gab er etwas mit auf den Weg; sie sollten nicht verallgemeinernd von „den Franzosen“ oder „den Deutschen“ sprechen. Es komme auf den Einzelnen an. Er rief sie dazu auf, Vorurteile abzubauen, Freude zu entwickeln bei dem, was sie täten, und hartnäckig bei der Verfolgung ihrer Ziele zu bleiben.
M.Wiegandt
 
 

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